Gewalt gegen Pflegekräfte – Lösungen für ein Tabuthema
Gewalt gegenüber Pflegekräften ist ein Thema, von dem man wenig liest und hört. Weder in der Presse, noch in internen Fortbildungen spielt das Thema eine große Rolle. Redet man jedoch mit Pflegekräften, sieht das ganz anders aus. Es zeigt sich schnell, dass beinahe jede Pflegefachkraft damit bereits Erfahrungen gemacht hat. Viele Pflegekräfte belastet das sehr. Sie fühlen sich oft alleine gelassen und sind verunsichert, wie sie mit dem Thema umgehen sollen. Schließlich besteht zwischen der Pflegekraft und dem Bewohner ein ganz anderes Verhältnis, als wenn es um Gewalt durch einen Fremden auf der Straße geht.
Ab wann beginnt überhaupt Gewalt? Wie schütze und wehre ich mich angemessen? Wie gehe ich damit um, ohne das grundlegende Vertrauensverhältnis völlig zu zerstören? Auf alle diese Fragen gibt es Antworten. Es ist das Spezialgebiet von Alexander Dreyer, Trainer und Inhaber von Ja-Coaching und Dozent an der Ak-Wiso. In unseren Weiterbildungen unterrichtet er das Thema „Gewaltprävention für Pflegekräfte“.
Er zeigt dabei, wie Betroffene sich angemessen der Gefährdungssituation entziehen und wie Führungskräfte ihre Mitarbeiter schützen und unterstützen können.
Herr Dreyer, warum haben Sie ein Training zu dem Thema „Gewaltprävention für Pflegekräfte“ entwickelt?
Wenn man von Gewalt in der Pflege spricht, denkt die große Mehrheit an Gewalt, die durch Pflegekräfte ausgeübt wird. Gewalt gegenüber Pflegekräften wird in der Pflege häufig verharmlost bis totgeschwiegen. Selbst innerhalb von Pflegeunternehmen ist es oft ein Tabuthema. Ich bin als Coach im Gesundheitswesen unterwegs. In vielen Coachingsitzungen wurde das Thema immer wieder an mich herangetragen. Da habe ich gemerkt, wie groß das Thema ist. Es gehört fast zum Alltag in der Pflege. Deshalb habe ich mein Trainings-Konzept entwickelt, um Pflegekräfte hier zu unterstützen.
Wie äußert sich die Gewalt gegenüber Pflegekräften?
Per Definition ist Gewalt, die Einwirkung auf Personen, in die sie nicht einwilligen oder mit der sie nicht einverstanden sind. Es geht nicht nur um körperliche Gewalt, sondern auch um psychische und verbale Gewalt. Das geht los bei Dauerklingeln. Andere Beispiele sind absichtliches Einnässen oder bei der Körperpflege die Mitarbeiter unangemessen anzufassen oder festzuhalten. Meine Intension war es, den Menschen Werkzeuge zu geben, wie sie mit solchen stark belastenden Situationen umgehen können. Da ich ursprünglich aus der Gewaltprävention komme, habe ich ein entsprechendes Konzept entwickelt.
Welche praktischen Tipps können Sie Pflegekräften mit auf den Weg geben, um sich gegen unterschiedliche Formen der Gewalt zu schützen? Was macht man gegen psychische oder verbale Gewalt?
Hier spielt das Verhältnis zwischen Pflegekraft und der betreuten Person eine Rolle. Da dies ein besonderes Verhältnis ist, ist die Herausforderung, hier angemessen zu reagieren. Immer wenn eine Grenze überschritten wird, ist es erforderlich, dies zu kommunizieren und zwar rechtzeitig! Das Zauberwort lautet Deeskalation!
Ein Beispiel: Ein Patient in einer Rehaklinik, der gut in der Lage ist, sich selbst zu waschen, erwartet die junge Pflegefachkraft nackt im Bett liegend. Er lächelt und sagt: „Sie dürfen mich jetzt waschen, Schwester“. Eine gute Reaktion der Pflegefachkraft war in diesem Fall folgende Antwort: „Schön, dass Sie bereit sind. Ich weiß, dass Sie sich selbst waschen können. Falls es erforderlich ist, leite ich sie gerne an.“ So zeigt sie freundlich und professionell die Grenzen auf.
Welche Formen der körperlichen Gewalt sind Pflegekräfte manchmal ausgesetzt?
Die körperliche Gewalt beginnt bereits, wenn ein Patient für einen Transfer durch die Pflegekraft gestützt wird und er dabei seine Hände vorsätzlich an die Hüfte oder an ihren Hintern legt. Weitere Beispiele für körperliche Gewalt sind Festhalten, sich vor der Tür aufbauen bis hin zu tätlichen Angriffen.
In Ihrem Training bringen Sie unseren Teilnehmern auch bei, wie man sich gegen tätliche Angriffe wehrt. Gibt es dazu Tipps?
Generell sind Trainings hilfreich, um sich auf solche Situationen vorzubereiten. Wichtig ist, ohne bzw. mit wenig Gewalt aus der Situation herauszukommen. In dem Verhältnis Pflegekraft-Patient besteht ein besonderes Vertrauensverhältnis durch die Fürsorgepflicht für den Patienten. Da kann man nicht einfach zurückschlagen. Hier ist also eine andere Vorgehensweise, wie bei einem Angriff durch einen Fremden erforderlich. Es gibt einfache Techniken, wie man sich, wenn man zum Beispiel am Arm festgehalten wird, rausdrehen kann. Das funktioniert, egal wie stark der andere ist.
Der zweite wichtige Aspekt ist eine professionelle und souveräne Haltung. Dafür muss ich mich auf solche Situationen einstellen und wissen, wie ich da rauskomme. Dann kann ich auch entspannter damit umgehen. Darüber hinaus können im Vorfeld schon potenzielle Gewaltsituationen vermieden werden, wenn ich weiß, wie ich in Stresssituationen angemessen kommuniziere. Auch dies wird in dem Seminar vermittelt.
Was ist das Feedback der Teilnehmer?
Die Rückmeldung von den Teilnehmern ist, dass die Mischung aus Theorie und praktischen Wissen sehr hilfreich ist und Sicherheit sowie Verständnis für die Situation vermittelt. Die Pflegekräfte sind sehr dankbar, dass dieses Thema überhaupt angesprochen wird und dass sie erkennen, hier gibt es viele Möglichkeiten mich selbst zu schützen. Die Deeskalationsstrategien sind übrigens nicht nur im Arbeitsalltag, sondern auch im privaten Umfeld sehr hilfreich.
Kontakt: Alexander Dreyer, Email: ja.coaching@gmx-topmail.de
Das Interview mit Herrn Dreyer führte Petra Weber, Leitung der F+U Akademie für Wirtschafts- und Sozialmanagement.