Interview mit einer gerontopsychiatrische Fachkraft: Erfahrungsbericht aus der Praxis
Gerontopsychiatrische Fachkräfte sind Pflegekräfte mit Tätigkeitsschwerpunkt in der Gerontopsychiatrie. Dabei widmen sie sich der Pflege von psychisch wesensveränderten Patienten in vornehmlich stationären Einrichtungen wie Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen, sowie geschlossenen Einrichtungen.
Im Interview Lutz Viel wird das Tätigkeitsfeld der gerontopsychiatrischen Fachkraft näher betrachtet. Im Fokus des Gesprächs sind Aufgaben, Erfolge & Herausforderungen, aber auch Tipps für die pflegerische Praxis.
Lutz Viel ist Dozent an der Ak-Wiso für die Weiterbildung zur Fachkraft Gerontopsychiatrie. Dafür hat er ein Kontaktstudium Erwachsenenbildung an der PH Karlsruhe absolviert. Weiterhin arbeitet er auch als gerontopsychiatrische Fachkraft, weil er diese Arbeit liebt.
Er verfügt über jahrelange Erfahrung im Umgang mit demenziell erkrankten Menschen, sei es in der Psychiatrie, wie auch in der stationären Altenpflege.
Herr Viel, warum haben Sie sich als Pflegfachkraft für die Spezialisierung gerontopsychiatrische Pflege entschieden?
Menschen mit Demenz haben mich bei meiner Arbeit in der Pflege immer wieder als Ansprechpartner aufgesucht. Andere Kollegen haben sie gemieden, zu mir kamen sie immer. Das hat mich dazu gebracht, mich mit dem Thema Demenz näher zu beschäftigen. Ich habe daher zunächst einige Fortbildungen zu dem Thema gemacht. Dann habe ich die Weiterbildung zur gerontopsychiatrischen Fachkraft entdeckt und mich so umfassend qualifiziert.
Wie muss man sich die Arbeit einer gerontopsychiatrischen Fachkraft vorstellen?
Das kann sich von Einrichtung zu Einrichtung unterscheiden. Ich arbeite in der akuten Psychiatrie. Hier bin ich zuständig für die Patienten mit Demenz. Hier bin ich eine Art Fachberater für meine Kollegen. Auch die Leitungskräfte kommen auf mich zu und bitten mich um Expertisen. Ein ganz wichtiges Feld meiner Tätigkeit ist auch die Anleitung der Schüler im Umgang mit dementen Menschen. Und natürlich bin ich auch auf der Station in das normale Tagesgeschäft involviert.
Auf was kommt es besonders an im Umgang mit gerontopsychiatrischen Erkrankten?
Es braucht eine gewisse Ruhe und Geduld. Aber letztlich braucht es vor allem auch Fachwissen.
Was macht den Job als gerontopsychiatrische Fachkraft für Sie so reizvoll? Was lieben Sie an Ihrem Job besonders?
Menschen mit Demenz sind sehr offen, sehr ehrlich und sehr authentisch. Da ist nichts Gekünsteltes oder Manipulatives. Alles, was sie tun und sagen ist authentisch. Das gefällt mir sehr.
Wie können Sie durch Ihre Arbeit die Menschen mit Demenz unterstützen?
Zum einen wende ich Validation an. Validation bedeutet, dass man das Gefühl und das Verhalten, in das dieses Gefühl mündet, für gültig erklärt. Man analysiert und bewertet es nicht. Es gibt ein validierendes Gespräch. Das entwickelt sich aus der Situation heraus. Oft ist der Anlass ein Unruhezustand. Durch die Validation gelingt es mir fast immer, die Situation zu beruhigen und zu klären. So kann ich dafür sorgen, dass es diesem Menschen in seinem Wohlbefinden wieder besser geht. Das ist das, was ich im Kontakt mit Menschen mit Demenz direkt mache.
Was bewirken Sie in dieser Hinsicht?
Ich sehe sehr schnell eine Wirkung. Wenn in eine akutpsychiatrische Station Menschen mit Demenz kommen, dann weil sie herausfordernde Verhaltensweisen zeigen oder Gewalt ausüben. Das heißt sie schlagen andere oder spucken oder kratzen oder, sie verweigern die Nahrungsaufnahme. Da hilft Validation gut weiter. Natürlich setzen wir auch medikamentöse Behandlung ein, aber die Validation ist das Wichtigste und bringt schnell eine Besserung.
Ich bewerte das Verhalten von Menschen mit Demenz auch anders als andere. Ich kann mich an einen Patienten erinnern, der angeblich oft gestürzt ist. Diese Stürze wurden dann natürlich erfasst und dokumentiert. Ich habe dann gesehen, dass er sich kontrolliert zu Boden lässt. Dann ist er auf dem Boden umherkrabbelt. Es sah aus, als würde er etwas suchen. Der Oberarzt wollte ihm beim Aufstehen helfen und gleich Alarm schlagen. Ich habe ihn gebeten abzuwarten. Der Patient hat sich dann wieder am Türrahmen aufgerichtet und ist dann weiter gelaufen. Wir haben die Biografie angeschaut und festgestellt, er ist von Beruf Landschaftsgärtner. Angehörige haben berichtet, er hat oft auf dem Boden gearbeitet. Er war einfach für einige Minuten in die Vergangenheit zurückgekehrt. Ich habe einen anderen Blick, eine andere Perspektive auf das Verhalten dementer Menschen. Dadurch bewerte ich ihre Verhaltensweisen auch anders als viele Kollegen.
Manche Pflegekräfte empfinden den Umgang mit Alzheimer-Patienten als schwierig. Sind das nur Vorurteile oder sind die Bedenken berechtigt?
Das hat auch ganz viel mit entsprechenden Schulungen im Umgang mit Demenz zu tun. Wer als gerontopsychiatrische Fachkraft geschult ist, kann das Verhalten von Alzheimer-Patienten viel besser nachvollziehen. Man bekommt Methoden an die Hand, wie mit verschiedenen Situationen umzugehen ist. Das schafft Verständnis und auch nimmt vor allem auch ganz viel Unsicherheit. Bei vielen Pflegekräften sind aber auch andere Interessen vorrangig. Mein Sohn z.B., der ebenfalls Altenpfleger ist, interessiert sich viel mehr für das Thema Wundmanagement. Jeder muss herausfinden, wo die persönlichen Interessen liegen.
Was sind für Sie die besonderen Herausforderungen in Ihrem Job als Gerontopsychiatrische Fachkraft?
Die Herausforderungen als Fachkraft Gerontopsychiatrie sind dieselben, mit denen wir in der Pflege immer zu kämpfen haben. Wir haben Rahmenbedingungen, die unsere Arbeit nicht immer erleichtern. Manchmal muss man dann auch - und auch das ist meine Aufgabe - aufklären. Manchmal muss man auch ein bisschen auf die Nerven fallen und fordern. Auch das kann vorkommen.
Wie unterscheidet sich die gerontopsychiatrische Arbeit in einem Krankenhaus von gerontopsychiatrischen Pflegeaufgaben in einem Altenpflegeheim?
Im Krankenhaus sind wir sehr auf Effizienz getrimmt. Da geht es darum, den Patienten möglichst bald auch wieder entlassen zu können. Hier haben wir weniger Zeit viele Informationen zu sammeln, die uns helfen würden. Das ist im Pflegeheim anders. Dort verbleibt der Patient meist bis zu seinem Tod. Das sind häufig Jahre. Da kennt man den dementen Bewohner viel genauer und kann ihn dadurch auch besser unterstützen. Hier ist die emotionale Beziehung auch viel näher. Auch im Krankenhaus entwickelt sich ein nahes Verhältnis zu den Patienten, aber im Altenheim geht das schon tiefer.
Viele Pflegekräfte überlegen sich, ist die Gerontopsychiatrie etwas für mich. Gibt es hier Hilfestellungen?
Wenn man sich in dem Bereich bewegt und das gerne macht oder wenn Menschen mit Demenz von sich aus auf einem zukommen und man gut mit ihnen interagieren kann, dann merkt man, dass es eine Arbeit ist, die man gerne machen möchte. Dann macht es Sinn, sich auch weiterzubilden. Ich lege großen Wert auf eine solche Weiterbildung.
Was ist wichtiges Know-how für eine gerontopsychiatrische Fachkraft?
Für mich ist es sehr wichtig zu wissen, warum Krankheitsbilder so sind, wie sie sind. Dass man dies auch wissenschaftlich erklären kann, mit dem Ziel dann daraus Maßnahmen abzuleiten. Ich muss dann auch entscheiden können, welche Maßnahme ist bei diesem Patienten oder bei jenem Bewohner die richtige. Wenn ich mich weitergebildet habe, dann habe ich hier einen Werkzeugkasten zur Verfügung. Ich kann damit auswählen, was ist hier jetzt das richtige Werkzeug.
Worauf sollte man als gerontopsychiatrische Fachkraft bei einem Arbeitgeberwechsel besonders achten?
Hier sollte man sich über den Arbeitgeber informieren und im Gespräch dann auch Informationen einfordern. Man sollte auf jeden Fall nach dem gerontopsychiatrischen Konzept fragen und nach der Haltung, die die Einrichtung hier vertritt. Ich würde im Bewerbungsgespräch darauf achten, wie klar sind die Führungskräfte hier. Gibt es ein klares Konzept? Können Sie sich klar darüber äußern? Oder habe ich eher ein Gegenüber, das auch selbst nicht so genau weiß, in welche Richtung er oder sie will.
Herr Viel, herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Petra Weber, die Leitung der F+U Akademie für Wirtschafts- und Sozialmanagement